Teil 1: Blattlager richtig schnell testen – aber wie?
Das IWES war 2013 noch ein recht kleines Fraunhofer-Institut und viele der Prüfstände, die erst später das Bild prägen sollten, waren nur in den Köpfen der ersten Mitarbeitenden vorhanden. Die Rotorblatttests lieferten zwar schon zuverlässige Ergebnisse, aber in anderen Bereichen war unsere Expertise nur in Grundzügen vorhanden. Ein Hersteller von Blattlagern trat dennoch an uns heran, um mit uns gemeinsam ein Forschungsprojekt zu starten. Blattlager verbinden Rotorblätter mit Rotornaben, und dank ihnen kann sich das Rotorblatt um die eigene Achse drehen und somit die Leistung der Anlage kontrollieren. Rotorblattlager haben seit den Tagen des Growian relativ wenig Anlass zur Sorge gegeben, aber es zeichneten sich einige neue Entwicklungen ab, deren Auswirkungen schwer einzuschätzen waren.
Nicht nur, dass die Lager mit jeder neuen Anlagengeneration immer größer wurden und sich somit weiter von den bisher üblichen Dimensionen für Wälzlager entfernten, es gab zudem auch noch zwei neue Designaspekte, deren Auswirkungen damals schwer einschätzbar waren: Einerseits war dies der Einsatz der individuellen Regulierung von Blättern zur Lastreduktion, der mit einer anderen Betriebsart der Lager einhergeht, andererseits führten die höheren Lasten zum Wunsch, auf dreireihige Rollenlager anstelle der üblichen Vierpunktlager zu wechseln.
IMO schlug dem IWES vor, mit realistischen Tests zu ermitteln, inwieweit diese Entwicklungen ein Risiko sein könnten. Solche Tests durften nicht zu lange dauern, denn sie mussten nach der Fertigung der ersten Blattlager und vor Beginn der Serienproduktion absolviert werden. Wir wussten zu diesem Zeitpunkt schon einiges über große Prüfstände, aber Wälzlager waren Neuland für uns. An der Leibniz Universität Hannover fanden wir im Institut für Maschinenkonstruktion und Tribologie einen geeigneten Partner, um uns zu unterstützen. Im Wesentlichen war zu diesem Zeitpunkt bekannt, dass Blattlager oszillieren – sie rotieren also nicht dauerhaft, sondern bewegen sich hin und her. Das ergibt für eine Windenergieanlage viel Sinn, für ein Wälzlager eher weniger, denn es bevorzugt stetige Rotation. Nun gab es die ungünstigen Oszillationen, und diese wurden durch die neuen Lastreduktionsmechanismen zusätzlich erheblich verändert. Um herauszufinden, wie wir so etwas in einem beschleunigten Dauerlauf abprüfen können, mussten wir zuerst die möglichen Schadensmechanismen verstehen. Doch die Literatur über Blattlagerschäden war quasi nicht existent (bis auf einige anekdotische Erwähnungen). Es gab einiges an Forschung zum Thema „Verschleiß oszillierender Wälzlager“, wobei hier ausschließlich deutlich kleinere Lager getestet wurden, und diese immer mit konstanten Oszillationamplituden. Die blaue Kurve im Bild zeigt so ein Bewegungsprofil. Blattlager wurden aber anders betrieben, mit ständig wechselnden Amplituden und Mittelwerten, wie die rote Kurve zeigt:
Den Vergleich zwischen Forschungsstand und Blattlager habe ich in einem Beitrag für die Tribologiekonferenz 2014 in Göttingen zusammengefasst. Der erste Ansatz für ein Testprogramm ergab sich aus diesem Stand der Forschung: Wir nehmen alle Bewegungen, die bekannterweise kritisch sind, und testen sie direkt aufeinanderfolgend. Gleichzeitig bringen wir die Lasten auf, die so ein Blattlager in der Anlage erfährt, und bilden die Schnittstellen, also Rotorblatt und Rotornabe, nach. Zu diesem Zeitpunkt wussten wir nicht, wie lange so ein Test dauern würde, wie viel Energie verbraucht werden würde und wie genau man das Verhalten der Schnittstellen abbilden könnte. Ohne ein Forschungsprojekt konnten diese Ideen nicht reifen, aber um ein Forschungsprojekt zu realisieren, mussten wir uns auf einige Zahlen festlegen: Mitte 2013 haben wir eine Projektskizze eingereicht, um Fördermittel zu erhalten.