Über das Projekt

Lebenswissenschaftliche Labore sind der Kern der Wertschöpfung der Gesundheitsindustrie, der pharmazeutischen und chemischen Forschung und Produktion, aber auch von Laborgeräteherstellern sowie von Laborausstattern. Der Drang nach zunehmender Flexibilisierung von Laboren durch Digitalisierung und Automatisierung von Laborarbeit nimmt auch hier zu, stellt aber insbesondere kleine und mittelständische Unternehmen (KMUs) vor erhebliche Herausforderungen. Es müssen unterschiedliche technische und wissenschaftliche Domänen in Einklang gebracht und dann nachhaltige, wirtschaftlich tragfähige Geschäftsmodellen entwickelt werden. Das erfordert tiefgreifendes Hintergrundwissen des aktuellen Standes der Gerätetechnik, der Elektroniktechnik, der Informatik, über die vielfältigen Anwendungsdomänen, was von Industriepartnern nur teilweise abgedeckt werden kann.

In diesem Spannungsfeld zwischen Anwendern (Laborbetreibern), Geräteherstellern sowie Laborausstattern konnten sich bisher keine schlüssigen technische Konzept durchsetzen, die Laboranwender in den Mittelpunkt stellt, ihnen bestmögliche Unterstützung bei ihrer Arbeit gibt, und dabei wirtschaftlich für alle Seiten von Nutzen ist. Der Stand der Technik anderer Wirtschaftszweige, Stichworte „Industrie 4.0“ oder „IIoT“, hat bisher nur in unzureichendem Maße Einzug ins Labor gehalten. Damit bedarf es eines Kollaborationsprojektes, mit dem das beschriebene Spannungsfeld für baden-württembergische Unternehmen durchbrochen werden kann, das Wege zur Digitalisierung und Automatisierung von Laboren prototypisch – unter Beachtung der nachgelagerten wirtschaftlichen Verwertbarkeit – aufzeigt, den Austausch von Kompetenzen ermöglicht und den Zugang zum notwendigen Fachwissen herstellt.

Abb. 1: Ausgangssituation: Labormöbel sind passive Infrastruktur, die getrennt von der Medienversorgung, teilautomatisierten Laborgeräten ohne Bezug zu koexistieren.

Motivation

Das Ziel der vierten industriellen Revolution („Industrie 4.0“) ist die „Flexibilisierung der Produktion durch dezentralisierte, autonom agierende sozio-technische Systeme in einer flachen Hierarchie“ mit Ziel, die Gesamtproduktivität zu steigern [Bauernhansl, 2014]. Dieses Konzept wird dabei technisch durch folgende Ansätze realisiert:

  • die Abbildung technischer Fähigkeiten physikalischer Komponenten in Software (d.h. das Etablieren sogenannter „digitaler Zwillinge“ oder „digitaler Schatten“), deren Verfügbarmachung nahezu in Echtzeit sowie deren Verbindung mit Hardware zu einem sogenannten „cyberphysischen System“,
  • Etablierung einer serviceorientierten Sichtweise, d.h. dezentraler, allgemein verfügbarer kleiner Funktionsbausteine anstelle gekapselter, zentral organisierter und monolithisch aufgebauter Software,
  • die  des Softwaremodulkonzepts zum Geschäftsmodell (die „App“-isierung der Software) und entsprechender Ökosysteme („App-Store“),
  • die Einführung und Verwendung schlanker, leichtgewichtiger Standards.

Der „Industrie 4.0“-Ansatz lässt sich auf lebenswissenschaftliche Forschungs- und Entwicklungslabore übertragen. Im Unterschied zum Fabrikumfeld ist der Grad menschlicher Interaktion in Laboren höher und daher der Grad an Digitalisierung und Automatisierung deutlich geringer. Während der Markt bereits eine Vielanzahl von Laborgeräten anbietet, die anwendungsspezifische Arbeitsschritte teil-automatisieren und Ergebnisse digital verfügbar machen, sind Laboreinrichtungen – Labortische, Abzugshauben, Sterilbänke, Medienleitungen, etc. – bisher weitestgehend passiv. D.h., sie koexistiert nahezu komplett unabhängig neben „digitalisierten Inseln von Laborgeräten“ sowie der allgemeinen IT-Infrastruktur (Netzwerke, Informationssysteme). Bestenfalls erlauben Abzugshauben und Sterilbänke eine Kontrolle von Umweltparametern im Schutzbereich, ohne sich aber in eine Gesamtsicht des Labors einzubetten, wie es bspw. in der Heimautomatisierung bereits Stand der Technik ist. Weiterhin fehlt eine durchgängige digitale Sicht aller Ebenen (Medienzuleitung, Laborbank, Laborgerät) sowie Möglichkeiten zur übergeordneten Kontrolle sowie der nachgelagerten Analyse von Labordaten („Big-Data-Analytics“).

Abb. 2: Zielvorstellung: modular vernetzte I4.0-Labormodule; cyberphysische Repräsentation, durchgängige Geräteintegration und Ermöglichung von Daten-Analytik.

Zielsetzung

Anwendern soll die größtmögliche Unterstützung durch die Laborinfrastruktur zur effizienten und effektiven Umsetzung von Arbeitsabläufen bereitgestellt werden. Im Projekt sollen in drei aufeinander aufbauenden Arbeitspaketen technische Lösungsansätze entwickelt werden, die unterschiedlichen Abstraktionsgrade der Digitalisierung abdecken:

  • die cyberphysische Laborbank: digitale Abbildung technischer Fähigkeiten von Laborbänken, unter Verwendung und Weiterentwicklung von Ansätzen und Technologien der I4.0, des IIoT und der Heimautomatisierung,
  • das integrierte Labor, Etablierung einer ganzheitliche Sicht auf die Laborin­fra­struktur (Möbel und Geräte) in Kombination mit Laborgeräten, aufbauend auf dem Stand der Technik und der Standardisierung der Laborautomatisierung,
  • die reaktive Laborinfrastruktur, Entwicklung von Anwendungsbeispielen zur Aufzeigen von Nutzen und Mehrwert der durchgängigen Digitalisierung von Prozessen, der Erhebung, Visualisierung und Analyse digitaler Daten.

Umsetzungsmaßnahmen

Jedes der drei Arbeitspakete untergliedert sich zwei Phasen: einer Konzeptphase, der ein Umsetzungsphase folgt. In der Konzeptphase werden in einem zweitägigen Workshop mit assoziierten Partnern der Stand der Technik herausgearbeitet, Ziele des Arbeitspaketes darauf gespiegelt und konkrete Anwendungsfälle entwickelt. Letztere werden in der Umsetzungsphase prototypisch in agiler Weise von Fraunhofer realisiert. Bei der Umsetzung wird auf bestehende Technologien zurückgegriffen, die aber auf das Laborumfeld erweitert werden müssen; Neuentwicklungen in Hardware- und Software werden stark eingeschränkt und nur durchgeführt, wenn wirklich notwendig.

In jeder Phase wird der Weg der Digitalisierung aufgezeigt, umgesetzte Anwendungsfälle als Praxisbeispiele dokumentiert und Verwertungsmodelle mit den beteiligten Industriepartner entwickelt. In den Arbeitspaketen wird eng mit einer Auswahl assoziierter Partnern zusammengearbeitet, die sich durch echtes wirtschaftliches Interesse an der Weiterverwertung der Projektergebnisse auszeichnen und sich entsprechend einbringen (aktive Mitarbeit in der Konzeptphase, Bereitstellung von Geräten und Materialien, …).

Die Ergebnisse der Arbeitspakete werden unmittelbar auf dieser Webseite, so weit wie möglich, frei zur Verfügung gestellt. Zum Projektabschluss werden alle Ergebnisse im Rahmen einer öffentlichen Veranstaltung vorgestellt.

Abb. 3: Übersicht der Projektphasen