Ein sicherer Betrieb und eine lange Nutzungsdauer von Offshore-Windenergieanlagen sind entscheidende Zielgrößen auf dem Weg zur Erreichung der Klimaneutralität. Zur Reduktion der Wartungskosten ist die Umsetzung einer vorausschauenden Instandhaltungsstrategie von besonderer Relevanz. Für zukünftige Tragstrukturen, wie sie in Windparks aktueller Leistungsklassen und größerer Wassertiefen notwendig werden, wird die Überwachung der Integrität der Tragstruktur und ihrer Komponenten weiter an Bedeutung gewinnen. Ein wichtiger Baustein ist das Structural-Health-Monitoring(SHM)-Konzept. Die Aufgabe eines SHM-Systems ist es, Schäden an einer Tragstruktur in einem frühen Stadium sicher zu erfassen. Es muss daher in der Lage sein, Strukturveränderungen frühzeitig zu erkennen und diese von auftretenden natürlichen Abweichungen aus veränderten Umwelt- und Betriebsbedingungen zu unterscheiden. Beispielsweise müssen zeitliche Veränderungen im Verhalten der Gründung (Boden-Strukturinteraktion), der Tragstruktur oder ihrer Verbindungskomponenten erkannt, voneinander unterschieden und unter Berücksichtigung des aktuellen gesamtdynamischen Betriebsverhaltens der Anlage bewertet werden. So sollen Auffälligkeiten im strukturdynamischen Verhalten den potenziellen, lokalen Schädigungen einzelner Komponenten zugeordnet werden. Ein gutes Zusammenspiel von Sensorik, Messtechnik und Auswertesystemen ist dabei essenziell. Dabei sind selbstlernende Überwachungssysteme oder auch überwachtes maschinelles Lernen zur Erkennung und Lokalisierung spezifischer Schädigungsvorgänge von großer Bedeutung.
Infrastruktur für physikalische Modellversuche
Bei der Konzeption und der erfolgreichen Umsetzung von SHM-Systemen können die Erkenntnisse aus großmaßstäblichen Modellversuchen von entscheidendem Nutzen sein. Im physikalischen Modellversuch können Schäden unter definierten Belastungssituationen in die zu untersuchenden Strukturkomponenten eingebracht und messtechnisch analysiert werden. Das Fraunhofer IWES erarbeitet, überwacht und analysiert derartige Versuche im Testzentrum für Tragstrukturen (TTH) in Hannover im Rahmen einer seit zehn Jahren bestehenden Kooperation mit der Leibniz Universität Hannover. Im Verbundvorhaben Grout-WATCH stellte die Grout-Verbindung von Offshore-Windenergieanlagen einen besonderen Anwendungsfall dar. Hierbei handelt es sich um eine hybride Verbindung, bei der zwei Stahlrohe (Pile und Sleeve) mit unterschiedlichen Durchmessern axial ineinander geführt werden und der Zwischenraum (Ringspalt) zum kraftschlüssigen Verbund mit hochfestem Vergussmörtel (Grout) ausgefüllt wird. In Zusammenarbeit mit den beteiligten Partnern war das Fraunhofer IWES für die Planung und Umsetzung von Versuchen an zyklisch biegebeanspruchten Grout-Verbindungen verantwortlich. Dabei stand die Erfassung der lokalen, nichtlinearen Materialschädigung in Verbindung mit der Entstehung von Rissen im Grout-Material mittels faseroptischer Dehnungsmessung im Vordergrund.
Grout-Sensorik zur Anwendung in SHM-Systemen
Zur Erfassung der Vorgänge im hoch beanspruchten Grout wurde ein optisches Messverfahren auf Basis der sogenannten Faser-Bragg-Gitter (FBG) verwendet. FBG-Sensoren ermöglichen eine Dehnungsermittlung aus gemessenen Wellenlängenverschiebungen der im Sensor reflektierten Lichtsignale. Eine im Verbundvorhaben beteiligte Firma entwickelte dazu FBG-Grout-Sensoren, vgl. Nuber et al. (2023), zur Dehnungsmessung in einem 18,4 mm breiten Grout-Spalt. Aus den gemessenen Dehnungen bzw. aus den auftretenden Längenänderungen der lokal platzierten Sensoren sollte auf eine mögliche Rissinitiierung bzw. entwicklung geschlossen werden können. Die Anwendbarkeit dieses Verfahrens wurde im Verbundvorhaben in kleinskaligen Versuchen im Labor bestätigt (siehe Nuber et al., 2023).
Versuchsdesign und Integration der FBG-Sensoren
Im Rahmen eines experimentellen Versuchs am großskaligen Modell einer Monopile-Tragstruktur wurde die darin verbaute Grout-Verbindung, vgl. Abb. 1 (links, rechts), durch stufenweise gesteigerte, zyklische Wechsellasten systematisch geschädigt. Dabei konnte der Schädigungsvorgang durch die neuartigen FBG-Sensoren im Grout lokal erfasst werden. Mit Hilfe der in der Grout-Fuge positionierten FBG-Sensoren, siehe Abb. 1 (Mitte) wurde somit erstmals die Möglichkeit geschaffen, Zusammenhänge zwischen lokalen Schädigungsvorgängen und den sonst typischen Sensoren eines Monitoring-Systems, vgl. Nuber et al. (2023), abzuleiten und schließlich die Anwendbarkeit der Sensoren zu bewerten.
Zeitreihen der im Grout positionierten FBG-Sensorik
Zur Verifikation der Messtechnik und der verbauten Sensorik wurde vor den Schädigungsversuchen eine experimentelle Modalanalyse und ein Ausschwingversuch durchgeführt. Dazu wurde von einer weiteren projektbeteiligten Firma ein elektrodynamischer Shaker zur dynamischen Anregung verwendet. Dieser wurde mittels Fernüberwachung und unter Anwendung von offshore-üblicher SHM-Sensorik der Monopile-Struktur betrieben. Zum Anlernen des SHM-Systems führte die Firma vor den Belastungsversuchen SHM-Referenzmessungen unter stochastischer Anregung durch und wiederholte diese zur Bewertung des jeweiligen Schädigungsfortschritts nach jeder der insgesamt acht Laststufen. In Kooperation mit dem TTH wurden dann je Laststufe jeweils 1.000 Lastwechsel aufgebracht und durch definierte Belastungsprofile (z. B. Sinus geringer Frequenz, lineare Rampen und konstante Belastungen) vor und nach jeder Laststufe ergänzt. Es stand somit eine Fülle von Daten zur erfolgreichen Verifikation der Messtechnik zur Verfügung (Kohlmeier et al., 2024). Die Ergebnisse zeigten eine volle Funktionsfähigkeit der FBG-Sensoren. Aufgrund ihrer hohen Empfindlichkeit spiegelten die über die Grout-Fuge verteilten FBG-Sensoren, siehe Abb. 2 (links), schon bei geringen Auslenkungen des Turms die Belastungssituation im Grout klar wider. So konnte dann während der zweiten Laststufe eine Initiierung von Rissen identifiziert und ihre spätere Entwicklung nachverfolgt werden. Den Schädigungsfortschritt in Form zunehmenden nichtlinearen Verhaltens zeigt Abb. 2 (rechts oben). Entsprechend der Sensorpositionierung zwischen oberen, mittleren oder unteren Schubrippenpaaren ließen sich auch Aussagen über die örtliche Verteilung des Schädigungsvorgangs ableiten.
Numerische Simulationsumgebung als virtuelles Experiment
Als Hilfsmittel zum Design des physikalischen Modells und zur Übertragung von experimentellen Ergebnissen auf den Realmaßstab wurde mit Hilfe des Virtuellen Prüfstands der Abteilung Tragstrukturen ein 3D-Finite-Elemente-Modell zur numerischen Simulation erstellt. Die im Experiment gewonnenen Daten bildeten eine gute Grundlage für die spätere Validierung der verwendeten Materialmodelle im Rahmen eines kontinuierlichen Optimierungsprozesses. Die folgenden Punkte stellen dabei eine etablierte Vorgehensweise dar:
- Mit Hilfe eines CAD-basierten Versuchsdesigns erfolgt eine Zusammenstellung aller entscheidender Geometriegrößen und deren Abhängigkeiten als Parametersatz.
- Der Modellaufbau wird parametrisiert und automatisch mittels objektorientierter Programmierung in Python unter Nutzung der Programmschnittstelle im Finite-Elemente-Programm Abaqus realisiert, siehe Abb. 3 (links).
- Die zur Analyse unterschiedlicher Fragestellungen notwendigen Detaillierungstiefen werden schrittweise mit Hilfe des flexiblen Modellaufbaus umgesetzt.
- Eine Übertragung des validierten Simulationsmodells auf reale oder neuartige Strukturtypen im Offshore-Windpark erfolgt mit überschaubarem Aufwand.
Sobald das charakteristische Schädigungsverhalten eines Bauteils im physikalischen Modellversuch identifiziert ist, besteht die Möglichkeit, numerische Modelle zur Analyse dieses charakteristischen Verhaltens umzusetzen, siehe Abb. 3 (rechts). Die im physikalischen Modellversuch abgeleiteten Daten werden schließlich zur Validierung der verwendeten numerischen Materialmodelle verwendet. Detaillierte Ausführungen zu den Simulationsergebnissen sind in Kohlmeier et al. (2024) oder Terbach (2024) zu finden.
Das vorgestellte numerische Modellierungssystem lässt sich bei Anwendung realer geometrischer Parameter einfach auf die typische Größe der Tragstruktur im Windpark skalieren und für den jeweiligen Anlagentyp adaptieren. Schädigungsszenarien lassen sich unter Berücksichtigung der im physikalischen Experiment gewonnenen Erkenntnisse ableiten. Folgende Anwendungsfälle sind möglich:
- Für das Monitoring der Tragstruktur können die für ein SHM-System signifikanten Tragstruktureigenschaften herausgearbeitet und für die Quantifizierung von Schwellenwerten zur Auslösung von Warnstufen genutzt werden.
- Auf Basis numerischer Schädigungsmodelle lassen sich Datensätze generieren, die im Rahmen Künstlicher Intelligenz beispielsweise zum überwachten Anlernen eines Monitoring-Systems genutzt werden können. Diese könnten prototypisch entwickelt und auf verschiedene Anlagen angepasst werden.
Erkenntnisse aus dem Projekt Grout-WATCH
Die entwickelte Sensorik ist im physikalischen Modellversuch (siehe Abb. 4) sehr gut geeignet, die bis dahin nicht objektiv messbaren Schädigungsvorgänge auch auf lokaler Ebene in Form von nichtlinearen Dehnungszuwächsen zu erfassen. Daraus lässt sich an den jeweiligen Sensorpositionen ein besseres Verständnis zum zeitlichen und örtlichen Schädigungsverlauf ableiten. Es ergeben sich damit die folgenden Entwicklungsansätze für zukünftige Arbeiten:
- Korrelationen der messbaren Größen mit dem aktuellen Grout-Zustand und Integration der Erkenntnisse in das Monitoring-Verfahren.
- Charakteristische Erkenntnisse zum Versagensvorgang von Grout-Verbindungen können die Interpretation von Offshore-Messdaten verbessern.
- Anwendung von numerischen Modellen zur Übertragung der gewonnenen Erkenntnisse auf die reale Tragstruktur im Offshore-Windpark.
- Entwicklung eines Ansatzes zur Integration der entwickelten Sensorik in den Installationsvorgang im Offshore-Windpark.
Das Projekt Grout-WATCH hat damit einen Beitrag zum besseren Verständnis des Grout-Versagens in hoch belasteten Grout-Verbindungen geleistet. Mit den Ergebnissen lässt sich die Validierung von numerischen Simulationsmodellen für hochfeste Vergussmörtel verbessern, die Lebensdauer von Grout-Verbindungen von Offshore-Windenergieanlagen genauer vorhersagen und eventuelle Schadensfälle vermeiden.
Detaillierte Ergebnisse des Projekts sind auch in folgenden Veröffentlichungen zu finden:
Kohlmeier, M., Heinrich, D., Spill, S., Collmann, M., Dreger, D. & Schossig, T. (2023). Design of a Large-scale Model Test to Validate Monitoring Systems for Grouted Connections in Offshore Monopile Foundations. In J. S. Chung (Hrsg.), The proceedings of the Thirty-Third (2023) International Ocean and Polar Engineering Conference: ISOPE-2023 : Ottawa, Canada, June 19-23, 2023 (S. 920–926). International Society of Offshore and Polar Engineers (ISOPE).
Nuber, A., Borgelt, J., Collmann, M., Dreger, D., Friedmann, H., Kohlmeier, M., Schossig, T., Römgens, N., Tsiapoki, S., Wernitz, S. (2023). Grout-WATCH – Untersuchung des Tragverhaltens von Offshore-Grout-Verbindungen unter Wasser an Tragstrukturen mit dynamischen Wechselwirkungen. In D. Janecek (Hrsg.), Statustagung Maritime Technologien. Tagungsband der Statustagung 2023 (Schriftenreihe Projektträger Jülich, Bd. 17, S. 151–168). Jülich: Forschungszentrum Jülich GmbH Zentralbibliothek Verlag. Verfügbar unter: https://edocs.tib.eu/files/e01fn24/1878626833.pdf
Kohlmeier, M., Heinrich, D., Spill, S., Collmann, M., Dreger, D., Schossig, T. (2024). Results of Initial Large-scale Model Tests to Validate Monitoring Systems for Grouted Connections of Offshore Monopiles. International Journal of Offshore and Polar Engineering (IJOPE). 2024(03), im Druck.
Terbach, J. (2024). Weiterentwicklung eines Finite-Elemente-Modells zur Abbildung des Tragverhaltens einer Grout-Verbindung unter Biegebeanspruchung in experimentellen Untersuchungen, Masterarbeit, Institut für Baustoffe, Leibniz Universität Hannover, Hannover.
Verbundprojekt Grout-WATCH: https://www.iwes.fraunhofer.de/en/research-projects/finished-projects-2023/grout-watch.html