Autoren: Telsche Nielsen, Viktor Deleski
Am Fraunhofer IWES setzen wir uns aktiv für erneuerbare Energien ein. Täglich unterstützen und fördern wir die Weiterentwicklung von Technologien in den Bereichen Windenergie und Wasserstoff. Als Institut für anwendungsorientierte Forschung ist es uns wichtig, unser Wissen und unsere Erfahrung auch zu teilen: Starke Allianzen sichern einen schnellen Wissenstransfer aus Forschung und Entwicklung, wovon Hochschulen und Industrie gleichermaßen profitieren.
Nach derzeitigen Prognosen wird es noch Jahre dauern, bis Wasserstofftechnologien eine größere Relevanz in der Bereitstellung und Nutzung von Energie haben. [1] Um diesen Prozess zu beschleunigen, ist es wichtig, Fach- und Führungskräfte im Bereich der Wasserstofftechnologien zu qualifizieren. Die Herstellung und Nutzung von grünem Wasserstoff erfordern spezifisches technisches Wissen und Expertise. Diese Lücke kann durch gezielte Weiterbildungsmaßnahmen für Fach- und Führungskräfte geschlossen werden.
Dass Wasserstoff statt Erdöl und Erdgas als Energieträger und Baustoff der Zukunft hoch im Kurs steht, ist allgemein bekannt. Aber wie kann er zukünftig in großen Mengen nachhaltig erzeugt werden? Wir haben unsere Kollegin Telsche Nielsen, Leiterin des Bereichs Wissenstransfer & Hochschulkooperationen, zum Gespräch gebeten, um dieser Fragestellung näher auf den Grund zu gehen: Bei der Elektrolyse wird Wasser mithilfe von Strom in seine chemischen Bestandteile Wasserstoff (H) und Sauerstoff (O) zerlegt. Es entsteht bei der Reaktion gasförmiger Wasserstoff (H2) und gasförmiger Sauerstoff (O2). Wasserstoff ist also ein Energieträger und keine Energiequelle, da in der Elektrolyse die elektrische Energie des Stroms in chemische Energie umgewandelt wird. Nur mit grünem Strom aus der Wind- und Solarenergie oder anderer CO2-armer Energieerzeugung ist hier ein wesentlicher Beitrag gegen den Klimawandel möglich.
Telsche, wo stehen wir gerade beim Thema Wasserstofferzeugung mit Windenergie? Gibt es Fortschritte im Vergleich zum Jahr 2022?
Weiterhin werden nahezu null Prozent des Stroms zur Erzeugung von grünem Wasserstoff genutzt, aber wir stehen nicht mehr ganz am Anfang, denn viele haben sich mittlerweile auf den Weg gemacht. Der aktuell in Reallaboren und Versuchsanlagen produzierte grüne Wasserstoff wird weiterhin nur marginal kommerziell vertrieben. Jedoch wurde am 18. Oktober 2023 die RED III verabschiedet. Sie regelt die Ausweisung von Beschleunigungsgebieten und vereinheitlicht die Genehmigungsverfahren. Sie gilt als Meilenstein für die Energiewende. [2] Somit können Wasserstoffprojekte zukünftig schneller erfolgreich umgesetzt werden.
Wie hoch könnte der Anteil von grünem Wasserstoff an der Energieversorgung in Zukunft sein?
Das Fraunhofer-Institut für Solare Energiesysteme ISE prognostiziert in ihren Szenarien über die nächsten drei Dekaden, dass es noch ein paar Jahre dauern kann, bis den Wasserstofftechnologien eine größere Relevanz in der Bereitstellung und der Nutzung zukommt. [3] Hierfür müssen wir jetzt den Grundstein legen. Denn es gibt viele Anwendungen, bei denen wir in der Zukunft den Energieträger Wasserstoff als Alternative zu Öl und Gas benötigen. Dabei ist es vorteilhaft, dass sich Wasserstoff über lange Zeit verlustfrei speichern und über weite Strecken transportieren lässt. Momentan gibt es weiterhin noch viel zu wenig grünen Strom für die Elektrolyse, als dass eine Erzeugung großer Mengen zu niedrigen Kosten möglich wäre. Doch nur wenn der Wasserstoff bezahlbar wird, kann auch die Energiewende gelingen. Am Ende müssen die CO2-Emissionen stark reduziert und parallel gesetzlich geregelt werden. Das gelingt am besten, wenn wir jetzt anfangen, auf verschiedenen Wegen interdisziplinär Lösungen zu etablieren.
Welche Fortschritte gibt es denn, die positiv stimmen?
Einige Elektrolysehersteller sind seit 2023 in Serienfertigung und vertreiben Dank voller Auftragsbücher ihre Anlagen weltweit. Bestehende Elektrolyseanlagen laufen i. d. R. noch im Forschungs- oder Pilotbetrieb, aber hier werden die Grundsteine für die nachhaltige Energieversorgung von Morgen gelegt.
Im Herbst 2023 wurde beispielsweise in Lingen eine H2-Pilotanlage installiert. Sobald der Inbetriebnahmeprozess abgeschlossen ist, werden hier ein PEM-Elektrolyseur mit einer Leistung von 4 MW und ein Druck-Alkali-Elektrolyseur mit einer Leistung von 10 MW grünen Wasserstoff erzeugen. Als Energiequelle für die Elektrolyse dient Offshore-Windenergie aus der Nordsee. Der Wasserstoff wird in ein örtliches Netz eingespeist und als Brennstoff für Gasturbinen für Kraftwerke genutzt. [4] In Bad Lauchstädt entsteht derzeit ein Energiepark, der geplant 2025 durch einen europaweit aktiven Erdgashandelskonzern und eine börsennotierte Energiehandelsgesellschaft in Betrieb genommen wird. Hier versorgt ein 50 MW-Windpark einen 30 MW Druck-Alkali-Elektrolyseur. Die besonderen örtlichen Gegebenheiten ermöglichen eine Speicherung des erzeugten Wasserstoffs in Salzkavernen und den Transport durch das H2-ready Erdgasnetz zu einer Raffinerie in Leuna. [5]
Ein letzter spannendender Grundstein, der aktuell gelegt wird, ist der „Elektrolysekorridor Ostdeutschland“. Dieser ist ein Teilprojekt im Rahmen von „Doing Hydrogen“ hinter dem ein großes Firmenkonsortium steht. Geplant ist hier die großtechnische Produktion von grünem Wasserstoff entlang einer geplanten Wasserstoff-Pipeline durch Mecklenburg-Vorpommern, Brandenburg, Berlin, Sachsen-Anhalt und Sachsen mit einer Gesamtleistung von mindestens 210 MW. [6] Der aktuelle Stand der angekündigten Elektrolysekapazitäten bis 2030 beläuft sich laut des Wasserstoff-Kompass auf „eine kumulierte stromseitige Elektrolyseleistung von 4,3 GW, was knapp 50 % der im Koalitionsvertrag vereinbarten Zielvorgabe (10 GW) entspricht. Schließt man undatierte Projekte in die Betrachtung mit ein, so erhöht sich die angekündigte stromseitige Elektrolyseleistung auf 7,6 GW.“ [7]
Welche Ansätze zur Gewinnung von grünem Wasserstoff gibt es noch?
Einen weiteren vielversprechenden Ansatz für einen nachhaltigen Einsatz von Elektrolyseuren bietet die Möglichkeit, diese mit Kläranlagen zu kombinieren. Das Umweltbundesamt identifiziert Kläranlagen mit etwa einem Fünftel des Gesamtenergiebedarfs als größten Energieverbraucher einer städtischen Gemeinde. [8] Die Stadt Hannover möchte mit einem innovativen Verbundprojekt einen effizienteren Betrieb der Kläranlage erreichen. Das Ziel ist, durch die Kopplung von Sektoren Energieeinsparungen zu erzielen und damit lokale Infrastruktur effizienter zu nutzen. Der erste geplante Schritt ist der Ausbau der erneuerbaren Energien, um den besagten grünen Strom zu produzieren. Damit werden dann über eine Elektrolyseanlage Wasserstoff und als Nebenprodukte (Ab-)Wärme und Sauerstoff produziert. Die Wärme soll in das örtliche Fernwärmenetz eingespeist werden. Der Wasserstoff dient als Treibstoff für die Busse des städtischen ÖPNV und der Sauerstoff kann gleich zwei Funktionen erfüllen: Die offensichtliche ist, den Sauerstoff für die biologische Abwasserreinigungsstufe zu nutzen. Nach dem Stand der Technik werden die für den Prozess benötigten Mikroorganismen mit Luft (mit lediglich 21 % Sauerstoffgehalt) versorgt. Substituiert man jedoch mit reinem Sauerstoff, können die Mikroben effizienter arbeiten und es wird weniger Energie für die Pumpen zur Belüftung der Becken benötigt. Somit wird an dieser Stelle grüner Strom gespart.
Die zweite Funktion des Sauerstoffs gewinnt an Relevanz in Hinblick auf eine neue EU-Richtlichtlinie. Hiernach werden alle Städte und Gemeinden mit mehr als 100.000 Einwohnern ab dem Jahr 2035 verpflichtet, eine weitere vierte Reinigungsstufe in der Abwasserklärung einzuführen, die sogenannte Ozonisierung. Bei dieser neuen zusätzlichen Reinigungsstufe des Abwassers werden effizient Pharmaka und Pflanzenschutzmittel aus dem Abwasser entfernt. [9]
Über die nationalen Projekte hinaus gibt es viele Vorhaben in dünn besiedelten Regionen mit sehr guten Wind- und Solarressourcen für die Herstellung und den Export von Wasserstoff oder entsprechenden Energieträgern. Es bleibt aber dabei, dass die Produktion von grünem Wasserstoff in großen Mengen direkt vom Ausbau der Wind- und Solarenergie abhängig ist.
Was ist technisch alles erforderlich, um grünen Wasserstoff zu erzeugen und wie groß muss eine Anlage sein?
Benötigt werden:
- eine Wasseraufbereitungsanlage,
- ein Elektrolyseur,
- eine Wasserstoffnachbereitungsanlage,
- ein Rohrsystem,
- ein Wasserstoffspeicher,
- Leistungselektronik,
- Regelungstechnik,
- Nebenaggregate wie Pumpen und Verdichter,
- vor allem grüner Strom.
Die Größe des Elektrolyseurs bestimmt die Größe der anderen Komponenten. Die Systeme können modular aufgebaut werden und lassen sich damit beliebig an den regionalen oder überregionalen Bedarf anpassen. Große Anlagen bestehen aus Elektrolyseuren mit 1 MW bis 10 MW, noch größere Systeme sind in der Entwicklung.
Wie stark beeinflusst der stagnierende Ausbau der Windenergieanlagen die Erzeugung von Wasserstoff?
Sehr, da die momentan hohen Strompreise (kaum) eine Wasserstofferzeugung zulassen. Wir brauchen in jedem Fall mehr Windenergie- und Photovoltaikkapazitäten, damit der steigende Strombedarf (z. B. für die Elektrifizierung des Verkehrssektors) abgedeckt wird und außerdem grüner Strom für die Produktion von grünem Wasserstoff als Energiespeicher für die Bereiche, die mit grünem Strom nicht betrieben werden können, zur Verfügung steht.
Wie aufwendig ist die Erzeugung von grünem Wasserstoff aus Windenergie im Vergleich zu herkömmlichen Methoden?
Die Erzeugung von Wasserstoff über einen Elektrolyseur mit Windenergie oder eine andere erneuerbare Technologie ist in erster Linie nachhaltiger als etwa der konventionelle Weg über die Dampfreformierung von Erdgas. Dampfreformer sind zudem in der Regel große, zentrale Anlagen – ein wesentlicher Unterschied zu den modularen, überall einsetzbaren Elektrolyseuren. Der entscheidende Nachteil bei der Dampfreformierung des Erdgases ist, dass dabei in großem Umfang das klimaschädliche CO2 erzeugt wird. Zwar kann das CO2 im Abgas abgeschieden werden, dadurch wird aber zusätzliche Energie benötigt und die Abscheidung ist unvollständig. Außerdem entweicht bei der Förderung, dem Transport und der Speicherung des für den Prozess notwendigen Erdgases klimaschädliches Methan in die Atmosphäre. Hinzu kommt, dass das Erdgas größtenteils importiert werden muss – was einer politisch unabhängigen Energieversorgung entgegenwirkt.
Wie hoch ist der Wirkungsgrad von Elektrolyseuren derzeit? Und was ist ein realistisches Ziel?
Der Wirkungsgrad beträgt bei den verschiedenen Elektrolyseurtypen bis zu 68 %, alkalische Elektrolyse ist dabei etwas effektiver als PEM. Wenn Dampf mit hoher Temperatur vorhanden ist, sind Hochtemperaturelektrolyseure noch effizienter. [10] Beim Wirkungsgrad der Elektrolyseure gibt es noch ein paar Prozent Verbesserungspotenzial in der Technologie- wie auch auf der Systemebene. Dazu forschen wir auf unseren Wasserstoff-Testfeldern, den Hydrogen Labs, in Bremerhaven, Leuna und Görlitz. [11] Auf der Materialebene wird ebenfalls weiter optimiert, daran arbeiten zum Beispiel unsere Kolleginnen und Kollegen vom Fraunhofer IMWS.
Wie viel Strom ist erforderlich, um 1 kg Wasserstoff herzustellen?
Theoretisch werden für die Herstellung von 1 kg Wasserstoff 42 kWh benötigt. Praktisch sind es aber bei einem PEM-Elektrolyseur durch die benötigte Energie zum Dauerbetrieb des Elektrolyseurs und aller Nebenkomponenten 55 kWh.
Wie sinnvoll ist eigentlich eine Wärmepumpe aus energetischer Sicht?
Wärmepumpen sind in der Energiebilanz unter Berücksichtigung von Treibhausgasemissionen nicht zu schlagen. Der energetische Wirkungsgrad von Wärmepumpen ist von zahlreichen variablen Faktoren abhängig, die sich auf ihre Effizienz und Umweltverträglichkeit auswirken. Quelltemperatur und Förderleistung sind zwei dieser Faktoren. Eine hohe Quelltemperatur ist bekanntlich gut, doch wenn die Förderleistung gering ist, wird der Wirkungsgrad immens gesenkt. Auch die Kältemittel und deren GWP-Werte (Global Warming Potential, bei Leckagen) sollten stets mitgedacht werden. Neben diesen drei Faktoren gibt es noch eine Vielzahl weiterer. Je nach Anwendungsfall muss hier eine passende Wärmepumpe gefunden werden. Alles steht und fällt jedoch mit der Verwendung des richtigen Stroms. Grüner Strom verwandelt jede noch so vermeintlich ineffiziente Wärmepumpe in eine Energieversorgung mit signifikant geringeren CO2 -Emissionen. An dieser Stelle seien die Untersuchungen des Fraunhofer ISE erwähnt, welche einen wichtigen Beitrag zur Weiterentwicklung der Wärmepumpe leisteten. [12]
Wie können wir das Potenzial von Wasserstoff nutzen und die Energiewende vorantreiben?
Wasserstoff ist für bestimmte Branchen wie z. B. die Chemie nichts Neues. Grundsätzlich sind die Eigenschaften gut erforscht und das Potenzial klar. In der Umsetzung, vor allem als Energieträger, hat es bisher gehapert und es ging aus den oben genannten Gründen nicht schnell genug voran. Nun haben sich jedoch die Rahmenbedingungen und die Einsatzszenarien geändert. Was neben den technischen Fortschritten bei den Elektrolyseuren noch fehlt, ist der Aufbau einer Wasserstoffwirtschaft mit Planern, Ingenieurinnen, Technikern und vielen weiteren Fachkräften, die in der gesamten Wertschöpfungskette involviert sind. Dazu benötigen wir Aufklärung, Informationen und vor allem Kompetenzaufbau. Fach- und Führungskräfte sollen die Fähigkeiten erlangen, Wasserstoffprojekte konkret zu planen und umzusetzen. Es bedarf zusätzlicher Anstrengungen, um gezielt Kompetenzen aufzubauen und notwendige Qualifizierungsprozesse zu etablieren, sowohl in der dualen Ausbildung als auch und vor allem in der beruflichen Weiterbildung.
Basierend auf aktuellen wissenschaftlichen Erkenntnissen entwickeln wir zusammen mit der Fraunhofer Academy praxisnahe Weiterbildungen und maßgeschneiderte Trainings für Unternehmen. Weitere Infos unter folgenden Links:
- Weiterbildungen im Bereich Wasserstoff: www.academy.fraunhofer.de/wasserstoff
- Weiterbildungsprogramm „Praxiswissen für Wasserstoffprojekte“: https://www.academy.fraunhofer.de/de/weiterbildung/energie-nachhaltigkeit/Wasserstoff/praxiswissen-wasserstoffprojekte.html
- Weiterbildungen vom Fraunhofer IWES: https://www.iwes.fraunhofer.de/de/weiterbildung.html
Quellen:
[1] Studie: Wege zu einem klimaneutralen Energiesystem – Die deutsche Energiewende im Kontext gesellschaftlicher Verhaltensweisen (fraunhofer.de)
[2] DIRECTIVE (EU) 2023/2413 OF THE EUROPEAN PARLIAMENT AND OF THE COUNCIL of 18 October 2023
[3] Studie: Wege zu einem klimaneutralen Energiesystem – Die deutsche Energiewende im Kontext gesellschaftlicher Verhaltensweisen (fraunhofer.de), Update 11/2021, S. 25, 17.01.2024
[4] Pilotanlage H₂-Elektrolyse Lingen | Wasserstoff-Projekt von RWE
[5] Start / Energiepark Bad-Lauchstaedt (energiepark-bad-lauchstaedt.de)
[6] Elektrolysekorridor Ostdeutschland | ENERTRAG
[7] Erzeugungskapazitäten | Wasserstoff Kompass (wasserstoff-kompass.de)
[8] Energieeffizienz kommunaler Kläranlagen (umweltbundesamt.de)
[9] Hannover plant den Aufbau einer regionalen Wasserstoffherstellung; Wasserstoff: So werden aus Kläranlagen grünen Fabriken (handelsblatt.com)
[10] Clean Hydrogen JU – SRIA Key Performance Indicators (KPIs) (europa.eu)
[11] IWES_Datenblatt_HLB_de.pdf (fraunhofer.de)
[12] Auch in Bestandsgebäuden funktionieren Wärmepumpen zuverlässig und sind klimafreundlich – Feldtest des Fraunhofer ISE abgeschlossen – Fraunhofer ISE
Mehr Informationen hier:
Angewandtes Forschen beim Fraunhofer IWES
ILES Summer School 2021 – Von der Theorie in die Praxis
Fortschritt als Notwendigkeit