Teil 2: Blattlager richtig schnell testen – vom Schreibtisch an den Prüfstand.
Im ersten Teil sind unsere ersten Schritte auf dem Weg zu einem Blattlagertest beschrieben. Mitte 2013 haben wir die Projektskizze mit dem Namen HAPT – Highly Accelerated Pitch Bearing Tests eingereicht. Insgesamt ging es um über 10 Millionen Euro an Fördermitteln in einem Projekt mit fünf Jahren Laufzeit, und die Prüfung unseres Projektplans dauerte entsprechend.
Gleichzeitig fragte aber ein Hersteller von Windenergieanlagen bei uns an, um Blattlager zu testen. Die Firma hatte bereits bei uns Rotorblätter getestet. Um Blattlager zu testen, brauchten wir einen Platz für einen weiteren Prüfstand. Unsere Rotorblatthallen waren damals der einzig mögliche Standort. Beim Entwurf des Prüfstands gingen wir davon aus, dass die realen Schnittstellen soweit wie möglich erhalten bleiben mussten – Nabe, Blatt und Pitchantrieb wurden also von der Anlage übernommen. Auch dieses Projekt brauchte einiges an Vorlaufzeit, aber im Oktober 2015 konnten wir den Blattlager-Prüfstand BEAT2.1 in der 90m-Halle in Betrieb nehmen. Videos dazu gibt es hier und hier.
Der Prüfstand sollte keine Dauerläufe fahren, aber einige meiner Ideen zu Blattlagertests wurden in das Testprogramm des ersten Lagers übernommen. Wir überprüften das Reibmoment, die statische Verformung und versuchten, den Schmierfilmaufbau mit Ultraschallsensoren zu überwachen. Gerade bei der Schmierfilmüberwachung haben wir sehr viel dazugelernt – auch wenn wir noch keine direkt verwertbaren Ergebnisse erzeugen konnten. Einer der Fehler dabei war, dass Testprogramm zur Schmierfilmdickenmessung zu sehr an die existierenden Forschungsarbeiten anzulehnen – der Pitchantrieb für relativ kleine Bewegungen mit konstanter Amplitude. Diese waren wahrscheinlich gar nicht in der Lage, einen echten Schmierfilm zu erzeugen.
Ein anderer unerwartet komplexer Punkt war die Reibmomentmessung. Das Reibmoment eines Lagers ist die wichtigste Größe, um den Pitchantrieb einer WEA auszulegen. Der Antrieb am Prüfstand war mit einer Drehmomentmesswelle ausgerüstet. Diese Welle maß aber nicht direkt das Reibmoment, sondern das Moment des Pitchantriebs – die Unterschiede dazwischen sind immens. Der Antrieb drehte nicht nur das Lager, sondern auch das Blatt. Das Blatt hatte ungefähr 12 Tonnen Gewicht und einen Schwerpunkt, der nicht exakt auf der Drehachse des Lagers lag – je nach Pitchposition ergab sich also ein zusätzliches Moment, das wir ebenfalls in der Drehmomentmessung sahen. Um die Sache noch etwas komplizierter zu machen, verformte sich das Blatt auch noch in Abhängigkeit von Last und Pitchwinkel, sodass der Abstand des Schwerpunktes von der Drehachse nicht konstant war. Unser damaliges Messsystem erlaubte direkt das Einfügen von Berechnungskanälen und auch schon die Formel, um den Schwerpunktseinfluss rauszurechnen – das Ergebnis: sehr viele Zeilen mit Formeln. Hinzu kam auch noch die Lasteinleitung selbst: Das Seil, über das die Kraft übertragen wurde, führte ebenfalls nicht durch die Drehachse des Antriebs, und sein oberer Angriffspunkt war ebenfalls vom Pitchwinkel und von der Last abhängig. Da wir das Seil außerdem benutzten, um den Lastwinkel zu variieren, gab es auch noch mehrere mögliche Ausgangspositionen. Tagelanges Kopfzerbrechen und konstruktive Workshops halfen uns, diese Einflüsse erfolgreich aus dem Reibemoment herauszurechnen.
Nach den ersten Lagertests auf dem Prüfstand konnten wir die zentrale These für ein Dauerlaufprogramm überprüfen. Diese war: Man kann alle Zyklen, die prinzipiell schädlich sind, direkt hintereinander abfahren, um einen Testlauf zu beschleunigen. Um dies zu überprüfen, haben wir zwei Lager getestet. Eines fuhr 40.000 Zyklen mit konstanter Amplitude, das zweite fuhr ebenfalls 40.000 Zyklen, aber diese waren Teil von realen Pitchwinkelverläufen und deshalb häufig unterbrochen durch größere Bewegungen. Anders gesagt: Der letzte Test führte zum blauen und roten Verlauf des Bildes in Teil I zu diesem Thema.
Wenn die These korrekt gewesen wäre, hätten beide Lager nach dem Test exakt gleich ausgesehen, sie hätten sichtbare Verschleißmarken auf den Laufbahnen gehabt. Das Ergebnis hier: Ein Lager, dass wie fabrikneu aussah, und eines, das deutlichen Verschleiß zeigte. Das Lager, dass die Zeitreihen der Windenergieanlage absolviert hatte, war komplett unbeschädigt. Das Ergebnis war sehr eindeutig und widerlegte die ursprüngliche These. Damit machte es auf einen Schlag sehr viele Forschungsarbeiten zu oszillierenden Lagern für unseren Anwendungsfall irrelevant. Die Abfolge von Zyklen war entscheidend für die Verschleißentwicklung, und alle kritischen Zyklen direkt hintereinander abzufahren ist nicht repräsentativ.
Weil das Ergebnis aber so eindeutig war, gab es direkt neue Ansatzpunkte, und einer davon war das Konzept der Schutzzyklen. Werden kleinere Bewegungen durch längere Bewegungen mit der richtigen Auslenkung und Häufigkeit unterbrochen, entsteht kein Verschleiß. Diese längeren Bewegungen nennen wir Schutzzyklen. Die korrekte Wiedergabe von Schutzzyklen wurde dann eines der zentralen Konzepte für die späteren Dauerläufe.