Die Einsatzbedingungen für die Rotorblattlager von Windenergieanlagen unterscheiden sich maßgeblich von den meisten industriellen Anwendungen. Dies führt beim Fraunhofer IWES zum Aufbau der weltweit umfangreichsten Prüftechnik für Blattlager.
Ein Interview mit Christian Broer
Christian, worin bestand die Herausforderung bei Blattlagern in Windenergieanlagen?
Der Stand von Wissenschaft und Technik reicht nicht aus für eine zuverlässige, normenbasierte Auslegung von Blattlagern. Die Betriebsweise ist zu weit entfernt von bekannten Anwendungen. Das ist uns vor Jahren klargeworden (BLOG Auf dem Weg zum Blattlagertest Matthias Stammler Teil 1). Mit dem zu erwartenden Wachstum der Anlagen konnte die Unsicherheit der Auslegung nur zu mehr Problemen führen. Wie soll denn so die Energiewende funktionieren, fragten wir uns. Darum haben wir nach Ansätzen gesucht, um die Situation der Auslegung zu verbessern, indem wir etwa für mehr Erkenntnisse sorgen. Ein Teil davon ist der Aufbau von Prüfmethoden und -technik, um den zuverlässigen Betrieb der Blattlager zu ermöglichen.
Wie sieht diese Prüftechnik konkret aus?
Betrachtet man die Einbausituation von heutigen Blattlagern, ist es essentiell, die Anbauteile – Rotornabe und Rotorblatt – zu berücksichtigen. Den ersten Prüfaufbau haben wir mit und für Senvion im Originalmaßstab mit Nabe und Blatt realisiert. Auch wenn wir hier wirklich gute Erkenntnisse gewinnen konnten, wollten wir im nächsten Schritt grundlegender und unabhängiger von Komponenten eines einzelnen Herstellers werden.
Was ist aus dem ersten Lagerprüfstand geworden?
Den BEAT2.1 hatten wir nach den Messkampagnen mit Senvion wieder zurückgebaut, da wir von dem Testkonzept nicht mehr überzeugt waren. Die Unabhängigkeit von realem Blatt und realer Nabe im Test verschafft uns Flexibilität bei den Prüfaufträgen. Nicht jeder Kunde kann oder möchte die passende Nabe und das passende Blatt beistellen. Zudem benötigen wir wesentlich weniger Platz. Ein ähnliches Konzept zum BEAT2.1 haben inzwischen Branchenkollegen in Lippstadt unter freiem Himmel aufgebaut, allerdings deutlich größer. Es lässt sich nicht nur bei Google Maps bestaunen.
Was waren denn eure nächsten Schritte?
Zunächst haben wir unseren zweiten Blattlagerprüfstand errichtet, der genau auf die wesentlichen Anbauteile des Lagers – Blatt und Nabe – verzichten kann. Die notwendigen Eigenschaften von Blatt und Nabe bilden wir individuell nach und können somit reale Testbedingungen für Lager mit bis zu 6,5 m Durchmesser erzeugen. Somit können wir etwa eine mehrmonatige, beschleunigte Dauerprüfung mit wenig Platzbedarf realisieren.
Für unsere Lagerprüfungen haben wir auch schnell einen Namen gefunden: BEAT! Bearing Endurance and Acceptance Test. Zur Unterscheidung ergänzen wir die Dimension und eine laufende Nummer. BEAT6.1 bedeutet also 6 m Lagerdurchmesser und Prüfstand Nr. 1 in seiner Dimension.
Schauen wir uns den BEAT6.1 genauer an. Was kann er?
Wir prüfen mit dem BEAT6.1 verschiedene Wälzlager für eine 7,5 MW Windenergieanlage, um Erkenntnisse zu den Schädigungen im realen Betrieb zu erlangen. Da wir keine Geduld hatten einen 20-jährigen Dauertest durchlaufen zu lassen, haben wir ein beschleunigtes Prüfprogramm entwickelt, dass diese Zeit in 4 Monaten abbildet. Matthias Stammler hat dies in seiner Dissertation untersucht. Die Prüflinge sind mit gut 100.000 EUR pro Stück jedoch zu wertvoll für die statistische Absicherung der Versuche, denn dafür bräuchte man eben viele Prüflinge. Kundenlager für Prototypen-WEA sind auf dem 6.1er auch schon gelaufen. (www.iwes.fraunhofer.de/de/forschungsprojekte/aktuelle-projekte/hapt.html)
Wie sichert ihr denn die Forschungsergebnisse stattdessen ab?
Dafür ist der BEAT0.1 entstanden, ein Tischgerät für 7220er Lager. Hierfür skalieren wir die Lasten und können so auch hohe Stückzahlen prüfen. Für die wissenschaftliche Absicherung der Ergebnisse ist das von Bedeutung. Auch können wir damit einzelnen Sondersituationen auf den Grund gehen oder einfach mal eine Testmatrix mit verschiedenen Lastszenarien durchlaufen. Allerdings verlieren wir mit diesen kleinen Lagern typische und wichtige Eigenschaften eines Großlagers.
Aktuell unternehmen wir daher noch einen weiteren Schritt, um die reale Prüfsituation des BEAT6.1 mit einer größeren Zahl an Prüfungen zu kombinieren. Dazu entsteht der „kleine Bruder“ des BEAT6.1 als BEAT1.1 (www.iwes.fraunhofer.de/de/forschungsprojekte/aktuelle-projekte/ibac.html). Die Prüfmatrix umfasst 120 Lager: klein genug um statistische abgesicherte Ergebnisse zu bekommen und gerade noch groß genug, um die Eigenschaften von Großlagern abzubilden. Inhaltliche Fragestellungen zu Condition Monitoring und Regelungskonzepten kommen hier hinzu.
Habt ihr noch mehr neue Themen?
Neben der Abbildung und Abprüfung der realen Betriebssituation der Blattlager forschen wir auch nach weiteren Erkenntnissen mit Prinzipprüfungen. Wir wollen Schädigungsmechanismen und definierte Betriebssituationen getrennt und mit einem wissenschaftlichen Fokus angehen. Neben der Schädigung durch Verschleiß wird für die Lebensdauer von Blattlagern auch die Wälzkontaktermüdung relevanter. Dafür haben wir die Prüfmethode und den korrespondierenden Laufbahnprüfstand mit axialer, hydraulischer Lasteinleitung entworfen: Der BEAT2.2 wird aktuell in Betrieb genommen. Mit dem BEAT0.2 entsteht ein Zwilling zum 0.1er und erhöht damit die Prüfkapazität. Der BEAT0.3 bekommt mit einer dynamischen Regelung zur axialen Lastsuperposition eine technische Erweiterung. Hier wird es um Verbesserungen im Betrieb von Wälzlager in WEA-Getrieben gehen.
Im Grunde klingt das nach einer erfolgreichen Prüfstands-Baureihe?
Die Prüfstände sind für uns eindrucksvolle, individuelle Werkzeuge, um wissenschaftliche Erkenntnisse zu gewinnen sowie Bauteile und Verfahren zu validieren. Der Clou liegt in den individuellen Testmethoden etwa zur Beschleunigung, Skalierung, Hervorhebung oder Verhinderung eines Schädigungsmechanismus. Dahinter steht ein super engagiertes Team vielfältiger Fachrichtungen: Regelungstechnik, Tribologie, Lastenrechnung und Simulation, Maschinenbau und Automatisierung, Handwerk und Projektmanagement. Gemeinsam wollen wir die Zuverlässigkeit der Energienutzung aus dem Wind befördern und damit die gesellschaftlichen Kosten für die Energiewende beeinflussen.
Zu guter Letzt: Wo sind die Prüfinfrastruktur und das Team angesiedelt?
Die sechs Prüfstände und das Kern-Team sind am Institutsstandort im Large Bearing Laboratory in Hamburg-Bergedorf beheimatet. Die Hansestadt hat uns bei der Standortwahl sehr unterstützt.
Vielen Dank für das Gespräch, Christian!