In der Windenergie basieren viele Analysen auf virtuellen Modellen. Diese Simulationsmodelle sind jedoch nicht für jede reale Windturbine frei verfügbar. Durch einen innovativen Ansatz löst das Fraunhofer IWES dieses Problem.
Wissenschaftler*innen am IWES arbeiten an dem „Generic Wind Turbine Design Tool“-Verfahren (kurz: GeWinDT), um für jede Windenergieanlage (WEA) im Feld ein passendes virtuelles Abbild zu erzeugen. Das virtuelle Abbild erlaubt die Nachbildung des Turbinenverhaltens und der Turbinenbelastung am konkreten Standort der WEA. Normalerweise haben Betreiber von WEA keinen Zugriff auf solche sogenannten Lastenmodelle, benötigen deren Informationen jedoch zur Beurteilung von Fragestellungen wie der Laufzeitverlängerung oder des Anlagenzustandes. Diesen Bedarf bedient das IWES.
Die Fachexpert*innen bündeln in dem „GeWinDT“-Verfahren ihre Expertise mit einer Vielzahl frei verfügbarer Daten, darunter Datenbanken zu Anlagenkenngrößen und generischen Windturbinenmodellen aus dem Bereich der Lastrechnung. Die Anlagenkenngrößen beziehen sich unter anderem auf die Leistungskurve, Rotordurchmesser und die Höhe des Turms. Üblicherweise liegen diese Parameter der WEA dem Anlagenbetreiber vor, sodass hier in Zusammenarbeit ein virtuelles Modell entsteht. Im nächsten Schritt kombinieren die Wissenschaftler*innen gewichtete Interpolations- und Optimierungsansätze, um das Design des komplexen Windturbinenrotors zu bestimmen. Dabei werden die geometrischen Größen und die aerodynamischen Eigenschaften mit Hilfe einer Datenbank bestimmt. Ein detailliertes Turmdesign vervollständig schließlich das virtuelle Modell. Mittels Messdaten werden die Dynamik und die Eigenfrequenzen des Modelles kalibriert, sodass diese mit der WEA im Feld übereinstimmen. Zur Sicherstellung der Plausibilität des Modells nutzen die Expert*innen des IWES ein bewährtes Verfahren, bestehend aus dynamischen Simulationen und Optimierung der Anlagenregelung. Im Gegensatz zu bisherigen Skalierungsansätzen, entsteht hier ein neues Design für die jeweilige WEA und damit ein neues virtuelles Modell.
Die virtuellen Turbinenmodelle können vielfältig eingesetzt werden
Durch diesen Designprozess werden wirtschaftlich relevante Analysen von WEA in einem erhöhten Detailierungsgrad ermöglicht. Das IWES nutzt die virtuellen Turbinenmodelle zur Beurteilung des Lebensdauerverbrauchs und der Restlebensdauer der WEA. Dazu wird die Lastrechnung mit dem virtuellen Modell und den Windbedingungen am Standort der WEA durchgeführt. Daraus erhält man die Belastungen der WEA und kann deren Standsicherheit berechnen. Ein Vergleich mit den Auslegungslasten aus der Designphase der WEA liefert dann die Lebensdauerreserven.
Die Informationen der virtuellen Modelle fließen außerdem in eine intelligente Windparkregelung ein, mit der das IWES einen optimalen Betriebspunkt für die Belastung einzelner WEA und die erzeugte Leistung des Windparks findet. Die virtuellen Modelle berechnen Einflussgrößen zur Beurteilung der Interaktion der einzelnen WEA im Windpark durch deren Nachläufe.
Weitere Anwendungsmöglichkeiten virtueller Modelle
Weitere Anwendungen des „GeWinDT“-Verfahrens ergeben sich im Bereich Digitalisierung. Für den Aufbau eines „digitalen Zwillings“ wird immer ein virtuelles Modell benötigt: Im ersten Schritt trägt das IWES durch den Aufbau des virtuellen Modells dazu bei. Im zweiten Schritt wird das virtuelle mit dem realen System verbunden. Dabei greifen die Wissenschaftler*innen auf die Expertise der in der Hardware-in-the-Loop Simulation am IWES-Gondelprüfstand Dynamic Nacelle Testing Laboratory (DyNaLab) zurück. Dieser WEA-Zwilling bietet eine Vielzahl virtueller Belastungs- und Bewegungssensoren, womit die bei WEA übliche Sensorik optimal ergänzt wird. Die virtuellen Sensoren geben dem Betreiber von WEA Aufschluss über die Turbinendynamik auch an Stellen, wo die Installation herkömmlicher Sensorik zu schwierig oder unwirtschaftlich ist. Die so entstehenden neue Möglichkeiten nutzt das IWES zur Systemüberwachung und Fehlerfrüherkennung.
Das Thema „virtuelle Turbinenmodelle“ hat Potenzial: Mithilfe der Modelle können nicht nur Fragen zur Lebensdauer oder Lastabschätzung für Betreiber beantwortet werden, sondern auch Analysen zur Leistungsoptimierung in Windparks durchgeführt werden. Als „Digitaler Zwilling“ von WEA bilden die virtuellen Modelle das Rückgrat für die Digitalisierung der Windindustrie.
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Anlagenbetrieb: Mit Regelung läuft es
Gondelprüfung und Untersuchung der elektrischen Eigenschaften (fraunhofer.de)