Meeresboden unter der Lupe: Ultrahochauflösende Mehrkanalseismik

Autor: M.Sc. Rouven Brune

Für die Planung genauer Standorte einzelner Windturbinen in einem vorgesehenen Offshorewindpark, wird insbesondere die Windressource und die Bodenbeschaffenheit untersucht. Das Fraunhofer IWES charakterisiert mit akustischen Methoden den Untergrund und hilft somit bei der effizienten und kostengünstigen Planung. Daher wurde das IWES vom Bundesamt für Schifffahrt und Hydrographie (BSH) seit 2017 fortlaufend für die Vorerkundung neuer Windparkflächen beauftragt. Die Expertise hat das IWES in über acht Jahren Forschungsarbeit zusammen mit Wissenschaft und Industrie aufgebaut.

Mit Inkrafttreten des Wind-auf-See Gesetzes im Oktober 2016 ging ein Paradigmenwechsel in der Flächenvorerkundung einher. In der Vergangenheit wurden die Windparkflächen vom BSH direkt zur Entwicklung ausgeschrieben und alle Vorerkundungsarbeiten oblagen dem Windparkentwickler. Seit 2017 beauftragt das BSH die verschiedenen Vorerkundungsleistungen direkt mit dem Ziel, die Datengrundlage unmittelbar bei der Flächenausschreibung zu publizieren. Die erste Flächenausschreibung ist im Frühjahr 2021 geplant und soll für die potenziellen Windparkentwickler durch zusätzliche Informationen transparenter gestaltet werden und damit den Wettbewerb fördern. Der Bund zielt auf eine schnellere und verlässlichere Realisierung der einzelnen Bauvorhaben durch mehr Planungssicherheit ab. Somit soll bis 2030 das Ziel von 20 Gigawatt (GW) installierter Leistung realisiert werden.

Das IWES erforscht und entwickelt bereits seit über zehn Jahren in enger Zusammenarbeit mit Industrie und Wissenschaft seismische Messmethoden zur geophysikalischen Untergrunderkundung von Offshorewindparks. Besonders hervorzuheben ist hier die Arbeitsgruppe Messtechnik und Umweltforschung der Universität Bremen, die sich schon frühzeitig auf hochauflösende seismische Messmethoden spezialisierte.

Marine Seismik wurde von der Kohlenwasserstoffindustrie jahrzehntelang zur Exploration von Gas und Ölvorkommen optimiert. Die Ansprüche der Windparkindustrie weichen jedoch deutlich ab: Während Kohlenwasserstoffreservoire in großen Tiefen vorkommen und Ausmaße von mehreren Kilometern haben, legt der Windparkentwickler sein Augenmerk auf die ersten 100 m unter dem Meeresboden und möchte kleinräumige Variationen und komplexe Strukturen mit Ausmaßen von ein paar Metern erkennen. Dies können glaziale Rinnen, ehemalige Flussverläufe oder Torflagen sein, die eine geringe Mächtigkeit aufweisen, sich aber über eine größere räumliche Fläche verteilen und damit Einfluss auf die Standorte der Turbinen haben können. Um die benötigte Auflösungen zu erreichen, betreiben die Experten der Abteilung Baugrunderkundung ein speziell auf die Anforderungen von Nord- und Ostsee zugeschnittenes mehrkanalseismisches Messsystem. Hauptbestandteile des Messsystems sind eine Schallquelle und eine Empfängeranordnung, auch Streamer genannt, welche hinter dem Schiff geschleppt werden.

© Fraunhofer IWES
© Fraunhofer IWES

Als Quelle setzt das Team einen Sparker ein, der durch eine elektrische Entladung im Wasser ein akustisches Signal anregt. Dieses Signal wandert durch die Wassersäule, dringt in den Meeresboden ein und wird an jeder Schichtgrenze im Untergrund reflektiert. Alle Reflektionen werden durch kleine Schallempfänger im Streamer aufgezeichnet. Durch den Einsatz vieler Empfänger und deren Anordnung im Streamer werden einzelne Punkte im Untergrund mehrfach erfasst. Das sorgt für eine Minimierung der Nebengeräusche und auch verfüllte Rinnen und Täler können sauber erfasst und rekonstruiert werden. Der modulare Aufbau des Systems kann speziell an die Bedürfnisse des Auftraggebers angepasst werden.

Die Datenbearbeitung beginnt bereits während der Vermessung. Dieses Jahr kommt zum ersten Mal eine hauseigene Softwarelösung zur Echtzeitgeoreferenzierung der Daten zum Einsatz. Dabei konzentriert sich die Vermessung auf eine bestmögliche strukturelle Abbildung des Untergrundes. Im flachmarinen Bereich der Nordsee liegt ein besonderes Augenmerk auf der Unterdrückung störender Mehrfachreflektionen und auf der negativen Beeinflussung der Datenqualität durch Wind, Wellen und Tidenzyklen. Mit Hilfe des modularen Aufbaus der Prozessing-Software nehmen sich die Wissenschaftler*innen diesen spezifischen Herausforderungen an und können durch die Integration von selbstentwickelten Modulen optimale Lösungen erarbeiten.

In der anschließenden Auswertung werden die räumlich erfassten Strukturen entlang der Profillinien interpretiert. Dabei kann es sich unter anderem um glaziale Rinnen, ehemalige Flussverläufe oder auch Gletscherablagerungen handeln. Auch spielt die Zusammensetzung der Ablagerungen, z.B. Sande, Tone oder Torfe eine wichtige Rolle, da sie unter Umständen die Fundamentstruktur oder geplante Standorte entscheidend beeinflussen.

Anhand dieser Interpretationen werden Bohrlokationen vorgeschlagen, um in der geotechnischen Untersuchung alle wichtigen Einheiten erbohren zu können und in den verschiedenen Lagen die jeweiligen Eigenschaften zu bestimmen. Aus den Seismikergebnissen wird als finales Produkt ein Untergrundmodell geliefert, mit dem eine Risikoanalyse für die Bebauung erstellt werden kann.

Mit der Spezialisierung auf Baugrundvorerkundung für Offshorewindparks sind die Möglichkeiten der Anwendung seismischer Messemethoden des IWES bei Weitem nicht erschöpft. Daher untersuchten die Wissenschaftler*innen der Baugrunderkundung in laufenden Forschungsprojekten die Möglichkeiten, Objekte (z.B. Kabel, Steine und Kampfmittel) mittels seismischer Methoden zu lokalisieren und zu charakterisieren. Mit dieser Methode können Unsicherheiten im Baugrund deutlich verringert und damit das Risiko bei der Projektentwicklung gesenkt werden. Diese Kostenreduktion wirkt sich unmittelbar aus und unterstützt damit den Ausbau der Windenergie.

Quellen:

Gesetz zur Entwicklung und Förderung der Windenergie auf See (Windenergie-auf-See-Gesetz – WindSeeG)

Windenergie-auf-See-Gesetz vom 13. Oktober 2016 (BGBl. I S. 2258, 2310), das zuletzt durch Artikel 2 des Gesetzes vom 25. Mai 2020 (BGBl. I S. 1070) geändert worden ist

www.bgr.bund.de/DE/…/Seismik/seismik_inhalt.html?nn=1561256

www.deutsche-rohstoffagentur.de/DE/…/seismische_verfahren_node.html

www.youtube.com/watch?v=d6uVGI–YtU

3 Kommentare:


  1. Ich würde gerne mehr über die Baugrunderkundung erfahren. Wie genau geht man bei so einer Erkundung vor? Ich kann mir vorstellen, dass es im Wasser noch schwieriger ist den Baugrund zu untersuchen.

    • Die Baugrundvorerkundung mit Mehrkanalseismik für Offshore-Windparks ist ein wesentlicher Prozess, um sicherzustellen, dass die Fundamente von Windturbinen auf dem Meeresboden stabil und sicher stehen. Dieser Ablauf gliedert sich in mehrere Schritte.

      Zu Beginn erfolgt die Projektvorbereitung, bei der der genaue Standort des zukünftigen Offshore-Windparks festgelegt wird. Ein Vermessungsschiff wird ausgewählt und mit spezieller Ausrüstung ausgestattet. Im Vorfeld haben notwendige Abstimmungen mit Behörden und Umweltschutzorganisationen stattgefunden, um sicherzustellen, dass alle Umweltauflagen eingehalten werden.

      Die eigentliche Untersuchung beginnt damit, dass die Schallquelle, oft ein Sparker, am Heck des Vermessungsschiffs positioniert wird und dahinter die Empfänger (Hydrophone) im Wasser geschleppt werden. Diese Geräte sind in der Lage, die von der Schallquelle erzeugten seismischen Wellen aufzuzeichnen.

      Während der Datenerfassung bewegt sich das Vermessungsschiff in einem vorher definierten Muster über das Untersuchungsgebiet. Die Schallquelle sendet kontrollierte Schallimpulse in den Meeresboden, und die Schallempfänger erfassen die seismischen Wellen, die von den Impulsen erzeugt werden. Dabei wird die Zeit gemessen, die benötigt wird, bis die seismischen Wellen von der Schallquelle aus dem Untergrund reflektiert wurden und aufgezeichnet werden.

      Die erfassten seismischen Daten werden entweder in Echtzeit oder nach Abschluss der Datenerfassung auf das Vermessungsschiff übertragen. Dort werden die Daten analysiert, um die Laufzeiten der seismischen Wellen zu messen und daraus Rückschlüsse auf die Beschaffenheit des Untergrunds zu ziehen.

      Geologen und Ingenieure interpretieren die gesammelten Daten, um den Untergrund zu kartieren und seine Eigenschaften zu charakterisieren. Hierzu gehören Informationen über Sedimentschichten, Gesteinsschichten, mögliche Verwerfungen und andere geologische Merkmale.

      Basierend auf den gewonnenen Erkenntnissen planen die Ingenieure den geeigneten Standort für die Windturbinenfundamente und passen die Konstruktionsdetails entsprechend an. Dies kann die Art der Fundamente, ihre Größe und die Verankerungsmethoden beeinflussen.

      Schließlich wird ein ausführlicher Bericht erstellt, der die Ergebnisse der Baugrundvorerkundung zusammenfasst. Dieser Bericht dient als wichtige Grundlage für die Genehmigungsverfahren und die weitere Planung und Konstruktion des Offshore-Windparks.

      Die Baugrundvorerkundung mit Mehrkanalseismik ist entscheidend, um die Stabilität und Sicherheit von Offshore-Windparks zu gewährleisten und unerwartete geologische Herausforderungen frühzeitig zu identifizieren. Sie ermöglicht eine optimale Anpassung der Fundamentkonstruktion an die geologischen Bedingungen des Meeresbodens, was wiederum zur effizienten Nutzung erneuerbarer Energiequellen beiträgt.

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