Angewandtes Forschen beim Fraunhofer IWES

Forschung zum Anfassen: Mit Schraubenzieher und Hammer ein Forschungsprojekt ganz praktisch erleben – ein etwas anderer Erfahrungsbericht.  

Als wissenschaftlicher Mitarbeiter am Fraunhofer IWES beschäftige ich mich mit der Simulation von großen Wälzlagern und ganzen Prüfständen. Die riesigen Dimensionen, die in der Windenergiebranche alltäglich sind, reduzieren sich dabei schnell auf die Maße meines 24 Zoll Monitors.

Was es bedeutet, ein Lager mit sechs Metern Durchmesser von einem LKW abzuladen und punktgenau an die gewünschte Stelle zu manövrieren, konnte ich letztes Jahr selbst erfahren. Im November und Dezember stand ein umfangreicher Lagertausch mit den dazugehörigen Anschlussbauteilen für unseren neuen Kunden in unserer Halle am Large Bearing Laboratory in Hamburg an. Und weil dies der erste große Umbau und der Aufwand schwer einzuschätzen war, haben meine Kollegen und ich diesen selbst vorgenommen. Acht Wochen lang tauschten wir Simulation und Programmierung gegen Sicherheitsschuhe und Helm. Unsere Aufgaben: die tonnenschweren Lager und Anschlussbauteile gegeneinander auszurichten und mit etlichen Schrauben miteinander zu verbinden. Ein Bauteil nach dem anderen wird platziert und befestigt, sodass der Prüfstand wie in einem überdimensionierten, höchst komplizierten Bausatz zusammengebaut wird. Ein Kollege kam extra aus Bremerhaven dazu, weil er „richtig Bock auf Schrauben“ hatte.

Aus meinen Modellen am Computer wusste ich genau, dass 1780 Schrauben verbaut werden mussten, die jeweils zwischen 3 und 6 kg wiegen. Dass ich bereits am ersten Tag solch einen Muskelkater haben würde, dass meine Anfahrt zum Institut mit dem Fahrrad am nächsten Morgen gut doppelt so lange dauern würde, hatte ich vorher nicht mit berechnet. Welche Ausmaße die einzelnen Bauteile haben, wurde auch deutlich, als wir die alten Komponenten auf die Wiese nebenan manövrierten, um Platz für die neuen zu machen. Ein 300 Tonnen Kran wurde angemietet und die Straße für den ganzen Tag gesperrt. An dieser Stelle möchte ich mich nochmal bei unseren Nachbarn GALAB und der HAW dafür bedanken, dass ihr bereitwillig auf dem Rasen geparkt habt.

Jeden Morgen gingen wir gut gelaunt daran, die Stahlteile miteinander zu verschrauben. Und da alle Teile nahezu gleichzeitig geliefert wurden, wurde das ein oder andere Wochenende schon mal durchgearbeitet. Die üblichen Verpflichtungen haben wir natürlich nicht aus den Augen verloren. So wurde ein Stahlzylinder kurzerhand zu einem Büro umfunktioniert, um für die Telefonkonferenz mit dem Kunden die nötige Ruhe zu finden.

© Fraunhofer IWES/Christian Broer
© Fraunhofer IWES/Christian Broer

Der Kunde packte auch selbst mit an, was uns besonders an späten Abenden motivierte. Dann werden nicht nur Schrauben angezogen, sondern zusammen FE Ergebnisse diskutiert und mögliche Testszenarien im Kopf durchgespielt. Am Ende hat ein toller Teamspirit dafür gesorgt, dass insbesondere die letzte Schraube mit einem Lächeln im Gesicht angezogen wurde. Im Endeffekt sind wir 3 Wochen schneller als geplant und pünktlich zu Weihnachten fertig geworden. Voller Freude ist dabei am letzten Tag das Foto mit dem Namen „Prüfstand fertig“ entstanden. Ich denke ich kann für uns alle sprechen, wenn ich sage: „Ich war froh, keine Schraube unterm Tannenbaum vorgefunden zu haben.“ Nach Weihnachten startete der Test und wird für die nächsten Monate ununterbrochen laufen. Für mich geht es zurück zur FEM, um die Simulationsergebnisse mit den realen Ergebnissen abzugleichen.

Die Praxiserfahrung hat mir Spaß gemacht und meine Kenntnisse vertieft. Zurück am Schreibtisch kann ich meinen Muskelkater nun auskurieren, wenn ich die Schrauben wieder in den reduzierten Maßen meines Monitors mit ein paar Mausklicks „anziehe“.

Während der Arbeiten in der Prüfhalle sind in etwa 500 Tassen Kaffee, 200 Limonaden und etliche Liter Wasser getrunken worden. Wir haben lediglich die einen oder anderen Blessuren davongetragen. Bei der siebten neuen Blase an den Fingern habe ich aufgehört zu zählen.

Ein Prüfstand, ein Team. 
© Fraunhofer IWES
Ein Prüfstand, ein Team. © Fraunhofer IWES

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